Die verschwundene MPi

(Beitrag von Lutz Teistler)


Es war Mai 1985 und wir waren mittlerweile EK geworden. Das jährliche Feldlager stand auf dem Plan und wir waren fast mit allen Wassern gewaschen. Der Alarm zum Ausrücken bereitete uns keinen Stress, der Stabsschreiber war unser Diensthalbjahr und wir hatten bereits Kaffee getrunken und saßen fix und fertig da, um in Rekordzeit unsere Waffen aus der Kammer zu holen und zum Park abzurücken. Nach einem 24-Stunden Kfz-Marsch mit zweimaligem Entfalten zwischendurch erreichten wir den Wilkendorfer Forst. Dort wurde umgehend alles für eine einwöchige Instandsetzungsübung eingerichtet. Die ausgegebene Parolefür das Lager lautete: Gielsdorf – Gurke.

Die Soldaten des ersten Diensthalbjahres, die „Sprutze“ erlebten alles zum ersten Mal, waren wie wir damals aufgeregt und unstrukturiert sowie ziemlich erschöpft vom ungewohnten Stress.
Tagsüber wurden uns instandzusetzende Fahrzeuge gebracht, welche wir unter feldmäßigen Bedingungen in Ordnung gebracht haben. Der Tag ging zu Ende und die Kompanie bereitete sich auf den Feierabend vor.

Major Kunze- Kompaniechef der 8. Kompanie

Aus gefällten und entasteten jungen Fichten hatten wir Gewehrständer gebaut und unsere MPi darauf abgestellt. Zur Schlafenszeit wurden diese dann mit ins Schlafzelt genommen und neben dem Feldbett abgelegt. So weit, so gut.


Nun trug es sich zu, dass der gerade einmal vier Wochen im Dienst befindliche Soldat W. ( ein urgemütlicher Thüringer, der mit dem preußischen Kommiss bei der NVA große Probleme hatte) zu Bett ging und seine MPi auf dem Ständer stehenließ. Diese erblickte später der an diesem Tag als OvD eingesetzte Fw Böhmer, der pflichtbewusst die MPi kassierte.


Morgens gegen vier war der ruhige Schlaf des Soldaten W. jäh zu Ende. Er blickte neben sich, sah keine MPi und hetzte nach draußen. Dort war sie allerdings auch nicht mehr.

Panisch rannte er nunmehr zum Zelt des Kompaniechefs. Dieser – Hauptmann Kuntze, genannt Kuno – hatte zur ordnungsgemäßen Anmeldung ein kleines Holzbrett mit einem an einem Strick daneben hängenden Hämmerchen befestigen lassen. W. hämmerte nun mehrfach wild darauf herum. Zunächst tat sich nichts, denn Kuno war wie so oft vom abendlichen Gelage ziemlich ermattet.
W. klopfte aber beharrlich weiter, bis aus dem Zeltinneren eine Stimme brummte: „ja, was ist los?“
W. : „Genosse Major, hier ist der Soldat W.“
Kuno: „W., was gibt‘s?“
W.: „Genosse Major, mei Flint is weg!“

( alles O-Ton)


Daraufhin erreichte Kuno aus der Waagerechten sekundenschnell die Senkrechte und sprang im Dreieck. Zum Morgenappell – die MPi hatte sich natürlich wieder angefunden – war Soldat W. einziges Thema der Predigt. Alle mussten sich anhören, was für ein ausgemachtes Rindvieh W. ist, er seine Pflichten nicht ernst nimmt und gar nicht schätzt, seinen Dienst in so einer elitären Einheit, wie der Achten zu leisten. Punktum, die verbale Kasteiung endete mit der Verkündung der Strafe. W. hatte ab sofort täglich warmes Waschwasser und ein Handtuch ans KC-Zelt zu liefern.


Das ging bereits am Folgetag schief. W. gelang es zwar, warmes Wasser in der NVA-typischen Aluschüssel aufzutreiben, aber das Handtuch war nicht auffindbar. Also behalf er sich in seiner Not, indem er ein Handtuch von der Leine neben den Werkstätten nahm, an welchem sich die Schlosser die Hände abtrocknen. Nun erwischte er jedoch eines, an welchem ein Schlosser nur oberflächlich die Hände gesäubert hatte und an welchem sich Reste von Schmierfett befanden. Kuno zog sich damit nach der Morgenwäsche einen ordentlichen Striemen über das Gesicht und das Gebrüll aus dem KC-Zelt ließ nichts Gutes erwarten.



Vor der angetretenen Kompanie ließ Kuno erneut seine Wut an W. aus und drohte ihm an, ihn beim nächsten Mal standrechtlich zu erschießen. Dazu kam es natürlich nicht, aber nach dieser Ankündigung herrschte betretenes Schweigen und wir EK‘s hatten ab sofort ein Auge auf alle Vorgänge.

L.T.